(„Hotaru no Haka“ directed byIsao Takahata, 1988)
Im sechsten Teil unseres fortlaufenden Specials über Studio Ghibli widmen wir uns einem Film, der nicht nur innerhalb des Werkes des Animationsstudios hervorsticht. Er ist sogar für das gesamte Animegenre wegweisend gewesen – und ist es bis heute.
„Am 21. September 1945 bin ich gestorben.“
Grell-bunte, völlig überdrehte Superheldengeschichten für Kinder – so sehen einem alten Klischee nach die meisten Anime aus. Die letzten Glühwürmchen ist keins von alledem. Zwar ist der Zeichentrickfilm theoretisch ab sechs Jahren freigegeben, wirklich geeignet ist die düstere Kriegsgeschichte aber nicht für ein jüngeres Publikum. Wie sollte auch, wenn die Hauptfigur gleich zu Beginn des Film stirbt? Ein Junge, gerade einmal 14 Jahre alt, sackt in einer Bahnhofswartehalle zusammen, verarmt, heruntergekommen, verdreckt, ausgemergelt. Nach dieser Einleitung folgen wir dem Geist des Jungen und erleben, wie es zu diesem Ende kommen konnte.
Wir schreiben das Jahr 1945 und die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges haben begonnen. Die Bevölkerung von Japan merkt von dem nahenden Ende jedoch wenig, tagtäglich heulen die Sirenen. Jeder halbwegs gesunde Mann ist längst zum Krieg eingezogen worden, zurück bleiben vor allem die Frauen und Kinder, die – bedroht von ununterbrochenen Bombenangriffen und zunehmend knapperer Nahrung – versuchen müssen, irgendwie über die Runden zu kommen. Bei einem dieser Bombenangriffe kommt die Mutter von Seita und Setsuko ums Leben. Da auch der Vater im Krieg ist, werden der Junge und seine 4-jährige Schwester erst einmal zur Tante geschickt. Doch da halten es die Geschwister nicht lange aus: Als es zum erneuten Streit mit der Verwandten kommt, ziehen die beiden in eine Höhle und versuchen sich allein durchs Leben zu schlagen.
Dass dieser Versuch fehlschlägt, wissen wir schon durch die Einleitungssequenz. Und doch hält die Hoffnung bis zum Ende an, dass es die Kinder vielleicht doch schaffen. Bei jedem Lichtblick, der sich bietet – Geld, das ihnen in die Hände fällt, der Umzug zur Tante – will man wider besseres Wissen glauben, die Geschichte könnte vielleicht doch anders verlaufen als angekündigt. Gerade auch weil der Film immer wieder bewusst solche Hoffnungsschimmer einbaut, und auch Szenen, in denen Seita und Setsuko fröhliche, unschuldige Momente miteinander erleben, ist das vorgezeichnete bittere Ende so schwer zu ertragen. Hier steht nicht der Krieg im Mittelpunkt, sondern zwei Kinder, die durch Schicksalsschläge, aber auch falschen Stolz alles verlieren.
Mehre Jahre hatte Isao Takahata, neben Hayao Miyazaki der Gründer von Studio Ghibli, schon überlegt, den Roman „Hotaru no Haka“ („Das Grab der Leuchtkäfer“) zu verfilmen. In dem hatte Autor Akiyuki Nosaka seine eigenen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs verarbeitet, unter anderem auch den Tod seiner Schwester, die zu der Zeit elendig verhungerte. Einfach war die Entscheidung nicht, den Stoff aufzuarbeiten, denn die Ambitionen des Zeichners waren sehr hoch. „Man erzählt nicht einfach eine Geschichte. Wenn die Geschichte gut erzählt wird, hinterlässt sie beim Zuschauer Eindruck“, erklärte Takahata später in einem Interview zu dem Film. Und den hinterlässt Die letzten Glühwürmchen ohne Frage.
Als der Film 1988 in den japanischen Kinos anlief, verließen viele Zuschauer vorzeitig den Saal. Nicht, weil der Film so schlecht war, sondern weil sie das Schicksal der beiden Kinder so mitnahm. Verstärkt wurde das sicher auch durch die eigenartige Entscheidung, Die letzten Glühwürmchen ausgerechnet mit Mein Nachbar Totoro als Double Feature zu bringen. Mit dem familienfreundlichen Klassiker hat das Kriegsdrama, abgesehen von den liebevollen, naturalistischen Zeichnungen, so gar nichts gemeinsam. Wenn man Vergleiche aus dem Animationsbereich heranziehen will, dann sind von der Stimmung her Unten am Fluss oder Wenn der Wind weht sicher die passenderen Filme. Wenn die beiden Ghibli-Klassiker eins eint, dann dass beide zeitlose Beispiele höchster Animationskunst sind und einem die Protagonisten schnell ans Herz wachsen – nur um sie hier gleich wieder zu verlieren.
Sicher, die starren Hintergründe in Die letzten Glühwürmchen wirken heute nicht mehr ganz zeitgemäß. Und die Musik ist an einigen Stellen unnötig dramatisch ausgefallen. Von seiner emotionalen Wucht hat die Geschichte um den Überlebenskampf zweier Kinder jedoch bis heute nichts eingebüßt. Dass es sich bei Seita und Setsuko „nur“ um gezeichnete Figuren handelt, macht keinen großen Unterschied. Auch ohne Schauspieler vermittelt der kleine, meistens leise und dabei so harte Zeichentrickfilm wie fast kein anderer das Gefühl von Hilflosigkeit, von ohnmächtiger Wut und eine Trauer, die so groß ist, dass selbst abgebrühten Hardcorehorrorfans die Tränen kommen. Wer das nicht glaubt, sollte die kürzliche Veröffentlichung als Blu-ray zum Anlass nehmen, das einmal selbst zu versuchen– vergessen wird er die Erfahrung auf keinen Fall.
Die letzten Glühwürmchen ist seit 27. September auf Blu-ray erhältlich
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Die tieftraurige Geschichte um zwei Kinder, die während des Zweiten Weltkrieges versuchen zu überleben, gehört nicht nur zu den großen Klassikern von Studio Ghibli, sondern des Animationsfilms überhaupt. Liebevoll gezeichnet und wunderbar animiert, entwickelt Die letzten Glühwürmchen eine emotionale Wucht, die heute noch genauso stark ist wie zu seinem Erscheinen vor 25 Jahren.
9
von 10